06.12.2017 -
Für Einlagen werden immer öfter Strafzinsen fällig – und jetzt steigt auch noch die Inflation . Kapitalmarktstratege Thomas Lehr erklärt, warum es sich trotzdem lohnen kann, einen Teil des Vermögens in einem Fonds flexibel als Cash zu disponieren.
Thomas Lehr: Nach unserer Einschätzung zunächst einmal gar nicht – und zumindest wohl auch nicht so bald. Wir gehen davon aus, dass die Zinsen in Europa noch lange niedrig bleiben werden. Für einige Eurostaaten scheint der Niedrigzins schlicht überlebenswichtig. Die EZB wird es sich deshalb wohl gar nicht erlauben können, mit höheren Zinsen zu experimentieren – schon gar nicht in einem Jahr, in dem in gleich mehreren Mitgliedstaaten gewählt wird (Niederlande, Frankreich, Deutschland; Anm. d. Red.). Eine neuerliche Debatte über die Kreditwürdigkeit einzelner Eurostaaten kann sich Brüssel unserer Ansicht nach nicht leisten.
Ihre Leiden werden vermutlich noch grösser werden. Auf der einen Seite dürften immer mehr Banken die Strafzinsen an ihre Kunden weitergeben – auf der anderen Seite steigen die Inflationsraten. Für Sparer ist das eine verdammt ungemütliche Situation: Ihr Erspartes wird langsam, aber sicher entwertet.
Auch wir müssen zahlen, ja – 0,45 Prozent auf unsere Kasseposition.
Ein hoher Kassenbestand ist für uns kein Selbstzweck, sondern taktisches Mittel. Wenn Sie zu hundert Prozent investiert sind, haben Sie keinerlei Möglichkeit auf Opportunitäten zu reagieren. Etwa nachzukaufen, wenn sich beispielsweise bei einem Kurseinbruch sehr interessante Anlagegelegenheiten ergeben. Ein entsprechender Kassepuffer verschafft uns die Flexibilität bei Bedarf genau das tun zu können.
Machen wir eine kurze Rechnung auf: Sie haben 10.000 Euro in einen unserer Multi-Asset-Fonds Fonds investiert. Nehmen wir an, dessen Kassequote beträgt derzeit 20 Prozent. In diesem Falle müssten wir auf 2.000 Euro „Strafzinsen“ bezahlen. Bei einem Satz von 0,45 Prozent macht das neun Euro im Jahr, also pro Monat 75 Cent. Nehmen wir weiterhin an, es geht in den kommenden Monaten turbulenter zu an der Börse, und wir bekommen die Gelegenheit, Aktien erstklassiger Unternehmen zu deutlich günstigeren Kursen zu kaufen; in diesem Fall würde ich in der Gesamtbetrachtung sagen, dass die 75 Cent pro Monat gar nicht so schlecht angelegt sind. Das heisst aber nicht, dass wir uns nicht auch über die Strafzinsen ärgern. Sie sind Ausdruck einer ziemlich verrückten Welt!
Eine Kristallkugel haben wir leider nicht. Seit dem „China-Crash“ Anfang vergangenen Jahres ging es an den wichtigsten Börsen stetig aufwärts, ohne grössere Ausschläge nach unten – fast wie an einem Lineal gezogen. Das ist schon erstaunlich.
Es gab den Brexit, das gescheiterte Referendum in Italien, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, zahllose Konflikte weltweit. Im Grunde alles Anlässe, die eine deutlichere Korrektur hätten auslösen können. Will sagen: Wann es zu einem grösseren Kursrücksetzer kommt, kann niemand seriös prognostizieren. Der Blick in die Geschichtsbücher zeigt aber, dass es nicht immer nur aufwärts geht.
… und machen damit nach Abzug der Inflation allzu häufig einen realen Verlust. Bei uns wächst die Kasse, weil wir etwa bei Aktien, die gut gelaufen sind, Gewinne mitgenommen haben. Sie schrumpft, wenn wir beispielsweise im Zuge eines temporären Kurseinbruchs günstige Gelegenheiten sehen und zukaufen. Der Gewinn liegt nicht zuletzt auch im Einkauf. Diese alte Kaufmannsregel gilt auch bei der Geldanlage.
Vielen Dank für das Gespräch.
Thomas Lehr ist seit Anfang des Jahres Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch und verstärkt das Team von Philipp Vorndran. Zuvor war Thomas Lehr neben der Dekabank unter anderem für die Berenberg Bank sowie für die Credit Suisse tätig.