23.10.2019 -
Die Nullzinspolitik beschert den Staaten der Eurozone Zinsersparnisse in Milliardenhöhe. Die nutzen Finanzminister gern zur Haushaltskosmetik – auch in Deutschland. Zu Lasten künftiger Steuerzahler.
Man kann es den Finanzministern nicht verübeln, dass sie die immensen Zinsersparnisse durch die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank dankend annehmen. Allerdings werden dabei auch Einnahmen verfrühstückt, die eigentlich künftigen Steuerzahlern zustehen. Diese zeitversetzte Umverteilung – die Alten kassieren, die Jungen zahlen – würde man bei Unternehmen als Bilanztrick bezeichnen, mit dem die aktuelle Ertragslage zu Lasten zukünftiger Perioden geschönt wird.
Und so funktioniert der Milliardentrick: Wenn eine Obligation mit einem Kupon von null begeben wird, die Marktrendite aber unter null liegt, erfolgt die Ausgabe zwangsläufig zu einem Kurs, der über 100 Prozent des Nennwertes liegt (über pari), also beispielsweise zu 104 bei einer fünfjährigen Obligation mit einer Emissionsrendite von minus 0,8 Prozent. Am Ende der Laufzeit muss aber nur der Nominalwert von 100 zurückgezahlt werden. Die Differenz von vier Prozent verbucht der Finanzminister als Gewinn für den Bund. Dieser fliesst umgehend in den aktuellen Haushalt ein. Seit 2013 hat die Bundesrepublik auf diese Weise Emissionsgewinne von insgesamt rund 25 Mrd. Euro eingestrichen. Allein 2019 werden es voraussichtlich 7,5 Mrd. Euro sein.
Bei kurzlaufenden Obligationen sind die Auswirkungen überschaubar. Wenn aber Langläufer, die bereits vor Jahren mit vergleichsweise hohen Kupons emittiert wurden, zu Kursen weit über pari aufgestockt werden und der damit verbundene hohe Emissionsgewinn in den aktuellen Staatshaushalt fliesst, bekommt die Sache einen faden Beigeschmack.
Ein besonders krasses Beispiel: Die Aufstockung einer ursprünglich 2014 emittierten 30-jährigen Obligation, die noch über einen üppigen Kupon von 2,5 Prozent verfügt. Als die Obligation am 19. Juni aufgestockt wurde, lag die Rendite bei nur 0,26 Prozent. Der Kurs war mit 158,8 entsprechend hoch. Dem Bund flossen bei einem Aufstockungsvolumen von einer Milliarde Euro also 1,588 Mrd. Euro zu. Den daraus resultierenden Emissionsgewinn von 588 Mio. Euro konnte der Bundesfinanzminister sofort im laufenden Haushalt verbuchen. Im Gegenzug müssen die Steuerzahler allerdings 27 Jahre lang den relativ hohen Zinskupon von 2,5 Prozent zahlen. Das ist zwar nicht ungesetzlich, aber nicht gerade generationengerecht. Stattdessen müsste der Emissionsgewinn in eine Rücklage fliessen und bis 2046 in 27 Jahresraten von jeweils 21,8 Mio. Euro zugunsten zukünftiger Haushalte und Steuerzahler aufgelöst werden.
Dieser Trick ist auch in anderen Ländern der Eurozone beliebt. So stockte Spanien im September eine bis 2066 laufende Obligation mit einem stattlichen Kupon von 3,45 Prozent zu einem Kurs von 168 auf und kassierte so einen Emissionsgewinn von 675 Mio. Euro. Italien erzielte mit der Aufstockung einer zu 3,85 Prozent verzinsten 30-jährigen Obligation einen Emissionsgewinn von 603 Mio. Euro, der ebenfalls direkt in den aktuellen Staatshaushalt fliesst und dafür einer ganzen Generation den unnötig hohen Zinskupon aufbürdet.
Und das Spiel geht weiter. Ungeachtet ausstehender Nullkuponanleihen hat die Bundesrepublik am 16. Oktober eine mit 1,25 Prozent verzinste 30-jährige Obligation um eine weitere Milliarde aufgestockt. Der Kurs lag bei 133, was dem Finanzminister einen weiteren Gewinn von 330 Mio. Euro in den Haushalt gespült hat. Auch im Interesse unserer Kinder bleibt zu hoffen, dass eine generationengerechte Verbuchung der Emissionsgewinne, wie bereits in einigen EU-Ländern der Fall, auch bei uns Einzug hält.