19.05.2020 - Flossbach von Storch

„Die Corona-Hilfen sind oft noch nicht finanziert“


„Die Corona-Hilfen sind oft noch nicht finanziert“

Im Zuge der Corona-Pandemie wurden enorme Hilfspakete angekündigt. Doch bisher haben viele Staaten nur wenige Anleihen über das geplante Mass hinaus aufgelegt. Sven Langenhan erklärt mögliche Folgen.

Herr Langenhan, die Staaten kündigen im Zuge der Corona-Krise milliardenschwere Hilfsprogramme an. Was bedeutet das für den Obligationenmarkt?
Sven Langenhan: Viele der angekündigten Massnahmen sind bislang noch nicht finanziert. Bei der Emissionstätigkeit der Staaten ist also noch einiges zu erwarten. Bislang haben sie vereinzelt zumindest weniger Obligationen aufgelegt, als aufgrund der Höhe der Massnahmen zu erwarten wäre. Oder anders ausgedrückt: Da steht noch viel Refinanzierungsarbeit an.

Betrifft das vor allem die südeuropäischen Staaten, die stark von der Krise betroffen und zudem bereits relativ hoch verschuldet sind?
Nein, nur bedingt: Spanien hat beispielsweise schon etwas mehr als die Hälfte des Refinanzierungsbedarfs für 2020, inklusive der aktuell geplanten zusätzlichen Corona-Ausgaben, durchfinanziert. Portugal sogar schon rund 60 Prozent. Das bedeutet, es wurden Staatsobligationen in entsprechender Höhe aufgestockt oder neu aufgelegt. Bei Italien sind es hingegen erst 29 Prozent der angekündigten Programme, die zudem bisher noch vergleichsweise verhalten ausgefallen sind und somit voraussichtlich nicht ausreichen werden, um die Folgen der Pandemie abzufedern.

Ist das ein Problem?
Ein Problem ja, aber aktuell scheint es zumindest nicht unlösbar. Denn hier steht die europäische Zentralbank (EZB) bereit und verfügt aktuell noch über ausreichend Mittel, um an den Stellen zu unterstützen, wo der freie Markt nicht so funktioniert, wie politisch gewünscht oder für ein Überleben der Eurozone notwendig wäre.

Und was ist mit Deutschland? Hierzulande sollen zur Finanzierung der Corona-Hilfsmassnahmen nach aktuellem Stand gut 160 Milliarden Euro zusätzliche Schulden aufgenommen werden, die Staatsgarantien nicht eingerechnet.
Bei Deutschland sehen wir die Lage zumindest als herausfordernder an als manch einer aufgrund der insgesamt deutlich solideren Ausgangslage im ersten Moment meinen könnte. Erst knapp 21 Prozent des aktuell zu erwartenden gesamten Refinanzierungsbedarfs sind gedeckt. Zur Deckung des zusätzlichen „Corona-Bedarfs“ wurden bisher noch nicht allzu viele neue Obligationen aufgelegt, sondern vor allem bestehende Emissionen aufgestockt, wovon die Deutsche Finanzagentur einen grossen Teil in die eigenen Bücher genommen hat. Die nach wie vor zu beobachtende Knappheitsprämie bei deutschen Bundesobligationen könnte somit in naher Zukunft durchaus abschmelzen.

Das würde bedeuten: Der Druck auf die Kurse deutscher Staatsobligationen steigt?
Ganz genau. Denn das zusätzliche Angebot muss auch bei den mit bester Bonität ausgestatteten Bundesobligationen erst einmal verdaut werden. Hier stellt sich die Frage, wie viel und in welchem Zeitraum bei den nach wie vor bestehenden Negativrenditen tatsächlich platziert werden kann. Das könnte auf Sicht zu einem gewissen Aufwärtsdruck bei den Zinsen sowohl für Neuemissionen und damit letztlich auch zu sinkenden Kursen bei bestehenden Obligationen führen. Dieser Effekt gilt aber nicht nur für Deutschland und den Euroraum.

Wie meinen Sie das?
Schauen wir einmal in die Vereinigten Staaten. Dort werden unsere bereits gigantisch wirkenden Zahlen ruck-zuck in den Schatten gestellt: Die USA haben im zweiten Quartal einen zusätzlichen Finanzbedarf von drei Billionen US-Dollar. Ausgeschrieben sind das: 3.000.000.000.000 US-Dollar, also eine drei mit nachgezählten zwölf Nullen dahinter. Auch hier erscheint es unter dem Strich nicht ganz so einfach, die angekündigten Hilfen marktschonend zu platzieren. Wobei die Ausgangssituation dort etwas einfacher erscheint, weil die USA über eine Zentralbank für einen tatsächlich gemeinsamen Währungs- und Wirtschaftsraum verfügen.

Würden Sie also sagen, Finger weg von klassischen Staatsobligationen?
Ganz so einfach ist das nicht. Für Privatanleger, die Obligationen kaufen und bis zum Laufzeitende halten, waren Euro-Staatsobligationen angesichts von Null- und Minuszinsen schon vor der Corona-Krise wenig interessant. Nun hat auch die US-Notenbank die kurzfristigen Zinsen auf eine Bandbreite von 0,0 bis 0,25 Prozent gesenkt. Eine weitere vermeintlich letzte sichere Renditequelle – natürlich unter Berücksichtigung von zusätzlichen Währungsrisiken – ist damit versiegt. Auch dort dürften die Zinsen, analog zum Euroraum, und vor dem Hintergrund der sich weiter auftürmenden Schuldenstände vom Niedrig-Niveau so schnell unseres Erachtens nicht nachhaltig wegkommen können.

Donald Trump hat bereits angekündigt, dass er Negativzinsen begrüssen würde.
Ob das dann auch so kommt, wird sich noch zeigen. Klar ist: Es wird weiterhin auch oder gerade an den globalen Staatsobligationenmärkten Schwankungen geben, was zum Beispiel auch aus den beschriebenen Refinanzierungsnotwendigkeiten resultieren könnte. Und davon können aktive Anleger mit dem richtigen Rüstzeug profitieren. Oder anders ausgedrückt: Die aktuelle Situation bietet für aktive und flexible Anleger weiterhin viele Chancen. Und das vor allem auch im Hinblick auf mächtige, aber gleichzeitig relativ gut einschätzbare Marktteilnehmer wie die globalen Zentralbanken.

Welche Chancen könnten das sein?
Sie entstehen grundsätzlich immer dann, wenn es zu Marktbewegungen kommt. Chancen können sich etwa bei sich verändernden Zinsstrukturkurven, Marktbewegungen zwischen den verschiedenen Obligationensegmenten oder bei Neuemissionen ergeben, um nur einige wenige „prominente“ von vielen Ertragsquellen zu nennen. Das betrifft übrigens ebenfalls Unternehmensobligationen, die je nach Währungsraum direkt oder indirekt in Form von Risikoaufschlägen zu Staatsobligationen bewertet werden. In so einem Umfeld braucht man gerade jetzt sehr gute Analysten, die jeden Schuldner sehr genau analysieren, um Chancen und Risiken sauber abwägen zu können. Herkömmliche Ratings helfen bei der Titelauswahl dahingegen meines Erachtens relativ wenig. Angesichts der Vielzahl der Obligationen weltweit und der derzeit heftigen Marktbewegungen wird es jedenfalls noch sehr lange immer wieder interessante Investmentmöglichkeiten geben, ohne dass man dabei den Helden spielen muss.

Bitte erklären Sie uns das genauer…
Am Ende geht es vornehmlich um das saubere Abwägen von Chancen und Risiken. Wer sein Handwerk versteht und bereit ist, bisherige Muster immer wieder neu zu überdenken, der kann am Obligationenmarkt weiterhin sehr viel Freude haben.

 

Zur Person:
Sven Langenhan ist Portfolio Director Fixed Income bei Flossbach von Storch in Köln.

 

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