23.08.2018 -
China möchte zur High-Tech-Supermacht werden. Im Auftrag der Staatsmacht übernehmen Unternehmen aus Fernost Konkurrenten in Europa und den USA. Wie soll der Westen reagieren?
Frau Gehringer, Herr Tofall, als Analysten des Flossbach von Storch Research Institutes verfolgen Sie den ökonomischen Aufstieg Chinas schon länger. Welchen Plan verfolgt China bei der Entwicklung des Landes?
Norbert Tofall: Schon vor drei Jahren verabschiedete der chinesische Staatsrat einen Masterplan. Innerhalb eines Jahrzehnts soll das Land zu einer „autarken produzierenden Supermacht“ werden.
Agnieszka Gehringer: Der Plan trug den vielsagenden Namen „Made in China 2025“. Das Ziel ist die ökonomische Führerschaft im gesamten Hi-Tech-Spektrum.
Um welche Bereiche geht es konkret?
Gehringer: Letztlich um die gesamte „Zukunftstechnologie“. Energieeffiziente Automobiltechnik, Elektromobilität, Robotertechnik, Maschinenbau, Luftfahrt, Schiffsbau und Bahnverkehrstechnik. Nicht zu vergessen: Medizintechnik, Biotechnologie, Chemie und Pharmazie…
Tofall: Die Liste liesse sich wohl noch erweitern. In allen Segmenten möchte China komplett unabhängig von anderen Ländern werden. Es geht um die weltweite Technologieführerschaft.
Bislang war das ein scheinbares Privileg des Westens. Wie möchte China die bisherigen Marktführer überholen?
Gehringer: Ein Mittel ist der staatlich gelenkte Kauf ausländischer Unternehmen. Allein in diesem Jahr schätzen wir, dass die neuen Beteiligungen von chinesischen Unternehmen an High-Tech-Firmen im Ausland auf einen Wert von rund 23 Milliarden Euro steigen könnten. Schon jetzt sind fast 95 Prozent der neuen chinesischen Auslandsbeteiligungen High-Tech-Unternehmen.
Ist das aus Sich des Westens nicht wünschenswert, wenn ausländische Investoren Geld in die eigene Wirtschaft investieren?
Tofall: Grundsätzlich ja. China möchte aber nicht nur Mitglied im Club der Tech-Leader werden. Es möchte die bisherigen Technologie-Führer ersetzen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass China diese Investitionen für politische Zwecke missbrauchen könnte.
Welche Folgen hätte es, wenn China zum neuen Technologie-Führer werden würde?
Gehringer: Der Anteil von technologieintensiven Produkten an der Wertschöpfung ist im Westen besonders hoch. Im verarbeitenden Gewerbe liegt der Anteil in Deutschland etwa bei 68 Prozent, in den USA immerhin noch bei 54 Prozent. Der Wettbewerbsdruck auf das verarbeitende Gewerbe im Westen wird enorm ansteigen.
Wird das chinesische Projekt Erfolg haben?
Tofall: Wir haben natürlich keine Kristallkugel. Gegen einen nachhaltigen Erfolg spricht, dass die Kommunistische Partei Chinas in der Ära Xi Jinpings immer autoritärer agiert. Staatlicher Interventionismus verstärkt in der Regel bestehende Strukturprobleme und verhindert meistens unpopuläre Anpassungsnahmen. In staatlichen und privaten Unternehmen werden mehr und mehr Parteizellen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) eingerichtet, die sicherlich keine Kaffeekränzchen zur Pflege kommunistischer Folklore sind, sondern massiven kontrollierenden Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben sollen. Das ist noch nirgendwo auf der Welt gut gegangen - und wird auch in China nicht dauerhaft gutgehen.
Wie müsste das Land stattdessen agieren?
Tofall: China müsste Strukturwandel ohne Führung und Kontrolle durch die allmächtige Kommunistische Partei zulassen. Nur so kann ein nachhaltiger Sprung von der Imitation zur Innovation gelingen. Zudem benötigen Kreativität und Innovationsfähigkeit eine solide unternehmerische, vom staatlichen Interventionismus weitgehend verschonte Basis. Sowohl die politischen Entscheidungen der KPCh-Parteitage in den letzten 12 Monaten als auch die fortschreitende Machtkonzentration auf Xi Jingping weisen jedoch in die entgegengesetzte Richtung.
Gehringer: Neben solchen hausgemachten Problemen steigen auch die Widerstände in den Industrieländern gegen Chinas Wirtschaftspolitik.
Am lautesten ist der Protest in den USA, von US-Präsident Donald Trump.
Tofall: Hier muss man unterscheiden. Trumps Protektionismus ist ökonomisch schädlich, die Wortwahl des Präsidenten oftmals abstossend. In einem Punkt nähern sich die Positionen vieler westlicher Länder aber trotz allem an: Der Forderung nach einem fairen Wettbewerb.
Gehringer: Den staatlich gesteuerten Käufen technologisch starker Konkurrenten durch China kontrastieren mit einer höchst restriktiven Haltung Chinas gegenüber ausländischen Investoren im eigenen Land.
Tofall: Der Westen weist völlig zu Recht auf Verstösse Chinas gegen die Grundsätze des fairen Wettbewerbs hin. Auf Grundsätze, die auf der WTO-Welthandelsordnung beruhen und die China bereits im Jahr 2001 offiziell anerkannt hat.
Wie soll der Westen reagieren? Ein Handelskrieg wird niemanden nutzen.
Gehringer: China ökonomisch klein zu halten wird nicht gelingen. Es ist weder ein legitimes noch ein kluges Ziel. Ein ökonomisch wachsendes China ist für die gesamte Weltwirtschaft von Vorteil. Mit der Bedingung, dass China im eigenen Interesse seine Wirtschaft öffnet und die Rechte ausländischer Investoren anerkennt.
Wie kann das ein Land glaubhaft versichern, in dem die Herrschaft einer Partei über der Herrschaft des Rechts steht?
Tofall: Die Beschlüsse der Partei seit Herbst 2017 und die weitere Machtzentralisierung in China lassen vermuten, dass sich diese Lage nicht verbessern wird. Diese Situation wird sich vermutlich erst dann verändern, wenn die chinesischen Massen fühlbare Wohlfahrtsverluste erleiden.
Wie sollte sich der Westen aktuell verhalten?
Tofall: Zuerst sollten der Westen seine hausgemachten ökonomischen und politischen Probleme in den Begriff bekommen. Dann gilt es, die eigenen Interessen zu verteidigen. Das funktioniert nicht mit Populismus oder Nationalstaaterei. Wir benötigen eine internationale Koalition für die Einhaltung fairer Regeln im Welthandel. Eine transatlantische und pazifische Freihandelsallianz – die den Druck auf China erhöht, das „gleiche Recht für alle“ aus purem Eigeninteresse einhalten zu müssen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Agnieszka Gehringer und Norbet F. Tofall sind Analysten des Flossbach von Storch Research Institute: http://www.fvs-ri.com/
Das könnte Sie auch interessieren:
Warum Trump für die Fed zum Problem wird - eine Analyse des Flossbach von Storch Research Institutes
Handelskonflikt? Mut und Beständigkeit zahlen sich aus, kommentiert Philipp Vorndran.
Trump gegen den Rest der Welt. Das gefährdet auch die USA, erläutert Bert Flossbach.