13.03.2020 -
25 Jahre Niedrigzins in Japan – feiert ein zweifelhaftes Jubiläum. Das Land gilt als Blaupause für ultraexpansive Geldpolitik, auch in Europa. Doch die Risiken sind immens.
Vor 30 Jahren war Japan die angesagteste Wirtschaftsnation der Welt. Das nominale Bruttoinlandsprodukt konnte seit 1985 in nur fünf Jahren um fast vierzig Prozent zulegen, der Immobilienmarkt war viermal höher bewertet als der gesamte Bestand der USA, und der Leitindex Nikkei 225 hatte sich in drei Jahren auf fast 39.000 Punkte verdreifacht. Doch die Börsenparty war auf Pump finanziert, die Weichen zum Platzen der Spekulationsblase waren bereits gestellt.
In Europa zeigen sich Parallelen. Wie in Japan gab es auch im südlichen Teil der Eurozone Wachstumsübertreibungen. Auch hier waren ein überschuldeter Privatsektor und unterkapitalisierte Banken die Folge. Das Problem: Im Zuge der Euroeinführung gab es ab 1999 kaum noch Zinsunterschiede bei den zehnjährigen Anleihen der Mitgliedsländer. Manche Schuldner profitierten.
Es entwickelte sich in den südlichen Euroländern eine kreditgetriebene Wachstumseuphorie, die an das Japan Ende der 80er-Jahre erinnert. Sie mündete in steigenden Vermögenspreisen und nicht nachhaltigen Wachstumsraten. So verteuerten sich die Immobilienpreise in Spanien zwischen 1999 und 2008 um etwa 170 Prozent. Im Zuge der Finanzkrise platzte dann die Immobilienblase.
Bis in die späten 1970er-Jahre war das Tätigkeitsfeld von Japans Banken auf das klassische Kreditgeschäft beschränkt worden. Eine festgelegte Zinsobergrenze für Einlagen in Verbindung mit einer über viele Jahre geringen Wettbewerbsintensität gewährleistete dem Bankensektor eine auskömmliche Zinsmarge. Doch spätestens mit der einsetzenden Deregulierung des Finanzsektors ab Anfang der 80er-Jahre begann die Ertragskraft japanischer Banken zu schwinden. Der (vermeintliche) Ausweg: Immer mehr Finanzinstitute forcierten den Absatz von Immobilienkrediten.
Die japanische Steuerpolitik befeuerte ebenfalls die Vermittlung von Baukrediten. Ein Anreiz für vermögende Privatpersonen, Grundstücke auf Pump zu kaufen. Auch Firmen konnten Kreditzinsen auf Gebäude steuermindernd ansetzen, während Buchgewinne erst bei Verkauf zu versteuern waren. Die Geschichte nahm ihren Lauf: Die Privatverschuldung schwoll von gut 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Anfang 1980 auf rund 210 Prozent im Jahr 1990 an. Die Grundstückspreise in den Metropolregionen konnten sich in diesem Zeitraum sogar versechsfachen.
Auch die japanische Notenbank heizte die Spekulationsblase an, als sie mitten im Boom die Zinsen senkte. Ihr Fokus lag zu dieser Zeit auf der Stabilisierung des Wechselkurses. Hatte sich doch das US-Handelsdefizit gegenüber Japan zu dieser Zeit auf gut ein Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts hochgeschraubt.
Der Yen galt als attraktive „Starkwährung“ und zog Kapital aus der ganzen Welt an. Um die Währung zu schwächen, senkte die Bank of Japan (BoJ) die Leitzinsen von fünf Prozent im Jahr 1985 auf 2,5 Prozent im Februar 1987. Das über zwei Jahre niedrige Zinsniveau wirkte wie ein Brandbeschleuniger und erhöhte die Vermögenspreise weiter. Am Ende sah sich die BoJ gezwungen, dieser Entwicklung mittels Leitzinsanhebungen gegenzusteuern. Doch gute Vorsätze halten manchmal nicht lange vor.
Während die Börse im Jahr 1990 einbrach und bereits deutliche Warnsignale sendete, hielt die BoJ zunächst an der jüngeren Straffung ihrer Geldpolitik fest. Doch ab Juli 1991 begann sie, die Leitzinsen von damals sechs Prozent zu senken. Aber die verbesserten Refinanzierungsbedingungen konnten das Ende der Immobilienblase nicht abwenden. Privathaushalte und Unternehmen hatten sich angesichts der verschlechterten Wachstumsaussichten masslos übernommen. Das Kreditbuch der Banken war „verseucht“. Seit 1993 war der japanische Bankensektor über das gesamte Jahrzehnt unprofitabel.
Anders als die BoJ in den 90ern reagierten die Europäische Zentralbank (EZB) und die Euro-Staaten frühzeitig und entschlossen, um nach der Finanz- und Eurokrise das Finanzsystem zu stabilisieren. Zahlreiche Banken wurden rekapitalisiert oder zwangsverstaatlicht. Die EZB stellt den Banken bis heute quasi unbegrenzt Liquidität bereit. Diese Massnahmen dürften wesentlich dazu beigetragen haben, dass das BIP der Eurozone seit 2010 jährlich um 1,4 Prozent real (oder 2,5 Prozent ohne Abzug der Inflation ) wuchs. Eine Depression, wie sie Japan erlebte, blieb bislang (noch) aus.
Seit einigen Jahren wächst die Wirtschaft in Japan wieder im Schnitt mit einem Prozent pro Jahr. Doch unterm Strich lag die nominale Wirtschaftsleistung 2018 mit 549 Billionen Yen gerade drei Prozentpunkte über derjenigen aus dem Jahr 1997. Japans Wirtschaft befindet sich im Permafrost.
Seit 20 Jahren ist sie kaum gewachsen. Die Notenbank versuchte ab 1991, mit Zinssenkungen das Wachstum anzukurbeln. Innerhalb von vier Jahren senkte sie die Zinsen von sechs Prozent auf nahe null Prozent. Doch auch dadurch konnte sie eine zwischenzeitliche Rezession nicht vermeiden. Denn Zinserhöhungen können zwar in einem Aufschwung das Wachstum bremsen. Doch die Wirtschaft in einem Abschwung anzukurbeln ist weitaus schwieriger.
Die Lehre aus dem ewigen Zinstief: Finanzielle Ingenieurskunst allein reicht nicht aus, um die Wirtschaft zu beflügeln. Kreditnachfrage und Wachstum lassen sich nicht einfach per Knopfdruck erzeugen. Auf lange Sicht können niedrige Zinsen sogar schaden. Schwächelnde Unternehmen werden mit günstigen Krediten durchgeschleppt, es droht eine „Zombifizierung“ der Wirtschaft, schädlich für Innovation und neue Wachstumsbranchen.
Julian Marx ist Analyst bei der Flossbach von Storch AG.
Dies ist eine gekürzte Version eines Beitrags aus der aktuellen Ausgabe unseres Magazins „Position“, das Sie kostenlos abonnieren können. Hier geht es zum Abonnement.