30.04.2019 -
Das Zinstief hat Folgen: Für den Fall eines Konjunkturabschwungs ist die geldpolitische Manövriermasse der EZB denkbar gering.
Wer auch immer im Oktober Nachfolger von EZB-Chef Mario Draghi wird, trägt eine schwere Bürde. Nach einer langen Expansionsphase droht der Wirtschaftsaufschwung zu erlahmen. Da das Zinsniveau auf absoluten Tiefständen liegt, ist die Manövriermasse der Europäischen Zentralbank (EZB) im Fall eines Konjunkturabschwungs denkbar gering. Um die Banken zu stabilisieren, könnte die EZB deren Guthaben durch die Einräumung von Freibeträgen teilweise vom Strafzins befreien. Durch eine Perpetuierung der zinslosen, langfristigen TLTRO-Programme würden die Refinanzierung der Banken und deren Kreditvergabemöglichkeiten verbessert.
Sollte sich die Schuldenkrise in der Eurozone verschärfen, könnte die EZB ihr Anleihekaufprogramm wieder aufnehmen, um kriselnde Euroländer zu stützen. Damit könnte sich die EZB Zeit kaufen, um Staaten in der Eurozone im Falle eines Konjunkturabschwungs eine vergleichsweise sanfte Notlandung zu ermöglichen.
Dass eine solche, weitgehend schmerzfreie Landung noch gelingen kann, ist aber mehr als fraglich. Die hochverschuldeten Euro-Länder haben die Zeit, die ihnen die EZB mit ihrer Tiefzinspolitik gewährt hat, ungenutzt verstreichen lassen – und daran wird sich unseres Erachtens angesichts der politischen Entwicklung in vielen Ländern auch zukünftig wenig ändern. Die herbeigesehnte Zinswende kommt nicht, weil sie nicht kommen darf; sie bleibt auch nach sechs Jahren Aufschwung eine Fata Morgana.
Im Gegensatz zur Eurozone und zu Japan haben die USA den Weg zu einer nachhaltigeren Geldpolitik bereits vor einigen Jahren eingeschlagen. Ende 2015, im sechsten Jahr des Konjunkturaufschwungs, erhöhte die Fed erstmals den Leitzins und hat seither acht weitere Zinsschritte vorgenommen. 2014 beendete sie ihre Anleihekäufe im Rahmen des „Quantitative Easing“ und begann 2017 damit, ihre aufgeblähte Bilanz durch den Abbau von Anleihepositionen wieder zurückzufahren. Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen stiegen zunächst auf mehr als drei Prozent.
Angesichts einer boomenden Wirtschaft erklärten einige Protagonisten wie der Chef der grössten US-Bank JP Morgan noch im Herbst vergangenen Jahres, ein Renditeniveau von vier bis fünf Prozent sei in absehbarer Zeit erreichbar. Doch dann zeigte sich, dass auch die grösste Wirtschaftsmacht der Welt nicht allein auf einem ansonsten weitgehend zinslosen und – abgesehen von China – wachstumsarmen Planeten ist. Das tiefe Zinsniveau im Rest der Welt und erste Anzeichen einer Abkühlung der US-Wirtschaft liessen die Renditen von US-Staatsanleihen wieder deutlich fallen.
Da sich die Anzeichen mehren, dass sich der Konjunkturaufschwung abschwächt oder sogar seinem Ende nähert, hat die US-Notenbank eine mögliche Kehrtwende ihrer Geldpolitik angedeutet. So signalisierte US-Notenbankchef Jerome Powell im März, zumindest vorläufig auf weitere Zinserhöhungen verzichten zu wollen und den Abbau der Bilanzsumme schon im September zu beenden. Daraufhin fiel die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen weiter auf knapp 2,4 Prozent und lag damit erstmals seit 2007 wieder unter dem Niveau dreimonatiger Schatzwechsel.
Wenn die Renditen von Anleihen mit längeren Laufzeiten unter dem Niveau kurzfristiger Titel liegen, spricht man von einer inversen Zinsstrukturkurve , die eine eher pessimistische Einschätzung der zukünftigen Wirtschaftsentwicklung widerspiegelt. Tatsächlich war eine inverse Zinsstrukturkurve in der Vergangenheit häufig Vorbote einer Rezession – aber nicht immer.
Ob die minimale Inversion der Zinsstrukturkurve auch diesmal eine Rezession ankündigt, wird sich in den kommenden zwölf Monaten zeigen. Ohne uns in den Reigen der Konjunkturprognostiker einreihen zu wollen, halten wir auch mangels anderweitiger Erkenntnisse an unserem Weltbild fest, das auf einem moderaten globalen Wirtschaftswachstum und dauerhaft niedrigen Zinsen basiert.