31.10.2019 -
In den Medien steht China oft für sinkendes Wachstum, Blasen auf dem Immobilienmarkt und Diebstahl geistigen Eigentums. Aber: Stimmt das? Es ist an der Zeit Schwellenländer realistisch zu beurteilen.
Chinas Wirtschaft wächst weiter auf hohem Niveau. Vor allem Internet-Unternehmen überspringen dort häufig mehrere Entwicklungsstufen. Denn der Staat schützt sie nicht vor Wettbewerb; im Gegenteil. Die Konkurrenz ist so hart, dass Google (Alphabet) und Amazon den Markt freiwillig verlassen haben. Die Innovationskraft des Landes ist wirklich erstaunlich. Haben Sie zum Beispiel sonntagmorgens bei Ihrem Bäcker einmal versucht, mit dem Handy zu bezahlen? So ähnlich, wie die Verkäufer Sie bei einem solchen Vorhaben ansehen werden, schauen Händler in China ihre Kunden an, die immer noch mit Bargeld zahlen möchten.
China ist weltweit Innovationsführer in Sachen mobiles Bezahlen. So liegt der Anteil der Handynutzer, die in den vergangenen sechs Monaten mindestens eine Zahlungstransaktion per Handy oder Smartphone abgewickelt haben, bei mehr als 80 Prozent. In Deutschland sind es laut Umfragen etwa elf Prozent. Beispielsweise setzen hier die Plattformen von Tencent und Alibaba mit einem Marktanteil von 90 Prozent Massstäbe. So werden über die Bezahl-Apps von Tencent auch Finanzprodukte wie Kredite oder Versicherungen vertrieben.
Die neuesten Entwicklungen sind Super-Apps, mit denen man nicht nur bezahlen kann, sondern auch Flüge buchen, Taxis bestellen, Termine bei Ärzten machen, oder, oder, oder. Auch im E-Commerce ist China Weltspitze. Über Alibaba-Plattformen wird inzwischen doppelt so viel Volumen abgewickelt wie über Amazon. Denn viele Chinesen sind sehr technikaffin. 800 Millionen Menschen sind aktive Internetnutzer. Von morgens bis abends nutzen sie Apps. Mehr als ein Viertel der Einkäufe werden online erledigt.
China steht nicht alleine da. Mindestens ebenso interessant ist Indien, auch wenn die Wirtschaft zuletzt deutliche Abkühlungstendenzen zeigte. Das Bruttoinlandsprodukt ist im vergangenen Quartal nur um fünf Prozent gewachsen. Das war die schwächste Wachstumsrate seit sechs Jahren. Immer noch sind die Umsatzprognosen vor allem im Konsumbereich sehr vorsichtig. Denn zeitgleich ist die Kreditvergabe gesunken. Und Kredite sind der „Schmierstoff“ der Wirtschaft.
Das Problem: In Indien vergeben etwa die Hälfte der Kredite Staatsbanken, die seit fast zehn Jahren im Krisenmodus sind. Stark gewachsen sind die Non-Bank-Financial-Corporations (NBFCs). Sie werden nicht von der Notenbank reguliert und refinanzieren sich teils über kurzlaufende Anleihen. In diesem Sektor ist im September 2018 ein grosser Infrastruktur-Finanzierer zusammengebrochen. Das führte zu einer Krise des NBFC-Marktes, die wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass das Kreditwachstum rückläufig ist.
Damit nicht genug: Unlängst ging noch eine kleine Genossenschaftsbank pleite. Das sorgte für Schlagzeilen, weil die Einlagensicherung in Indien nur bei umgerechnet 1.500 US-Dollar pro Kopf liegt. Um einen Bank-Run zu verhindern, musste die Notenbank eingreifen. Wir glauben dennoch, dass es in Indien keine systemische Bankenkrise geben dürfte. So hat die Notenbank in fünf Schritten die Zinsen um insgesamt 135 Basispunkte gesenkt und grosse Player konnten sich wieder leichter refinanzieren. Privatbanken haben bereits 15 bis 20 Prozent mehr Geld verliehen. Dennoch ist das Kreditwachstum in Indien unterm Strich noch schwach.
China und Indien verdienen sehr viel Aufmerksamkeit, allein aufgrund ihrer grossen Bevölkerung. Doch wir finden auch in anderen Ländern spannende Unternehmen. Auch wenn die politische Lage schwierig ist, wie etwa in Südafrika, Brasilien oder Mexiko. Doch wir investieren nicht in Länder oder Sektoren, sondern in ausgewählte Unternehmen, die vom Wachstum in den Schwellenländern profitieren. Dabei ist es uns egal, zu welchem Börsenindex sie gehören oder wo die Firmen ihren Sitz haben. Interessant sind für uns in erster Linie die betriebswirtschaftlichen Parameter.
Aber gerade bei Investments in den Schwellenländern finden wir es essentiell, auch ESG-Parameter zu prüfen, also ökologische, soziale und Governance-Aspekte. Wir nehmen dabei in erster Linie die Einhaltung von Governance-Kriterien unter die Lupe, um die Güte der Unternehmensführung abzuschätzen. Wir prüfen, ob das Management integer ist, langfristig denkt. Ob Kontrollgremien unabhängig sind und Interessenskonflikte bestehen und transparent offengelegt werden. Nur ein integres Management handelt im Sinne der Eigentümer. Wer hingegen nicht integer ist, wird sich auch nicht um Umweltaspekte kümmern und dem ist es im Zweifel egal, wie Mitarbeiter behandelt werden. In den Schwellenländern gibt es diesbezüglich bei vielen Firmen grosse Fragezeichen, insbesondere im staatlichen Bereich. Wir sehen uns daher jedes Unternehmen, in das wir investieren wollen, sehr genau an.
Manche Investoren bilden die Emerging Markets passiv ab, etwa in dem sie ETFs auf den Aktienindex „MSCI Welt Emerging Market“ kaufen. Doch drei gute Gründe sprechen dagegen. Erstens ist die Länderaufteilung im Index fragwürdig. So machen Südkorea und Taiwan fast ein Viertel der Assets aus. Doch beide Volkswirtschaften sind bereits hoch entwickelt und keine Schwellenländer mehr. Zweitens entfallen auf den Sektor Rohstoffe, Energie und Versorger etwa 18 Prozent der Branchengewichtung. Das ist die zweitgrösste Position. Doch das Rohstoffgeschäft ist zyklisch und es gibt keine Preissetzungsmacht. Drittens bildet er Index insgesamt 1.200 Titel ab. Viele davon sind Staatsunternehmen, bei denen die Gewinne zwar auskömmlich erscheinen, aber nicht bei den Minderheitsaktionären ankommen. Bei einem solchen Index wird zu breit gestreut. Wir plädieren für eine aktive und flexible Titelauswahl.