25.04.2019 -
Was für ein Start ins neue Jahr. Die Börsen legten kräftig zu – trotz Brexit-Chaos und Angst vor einer Rezession. Wie kann das sein?
Bei unseren Vorträgen und bei vielen Veranstaltungen wird uns derzeit immer die gleiche Frage gestellt. Ist das Jahr 2019 an den Kapitalmärkten nicht schon längst gelaufen? Die Bilanz der ersten Monate ist fulminant. Der MSCI Welt schaffte ein Plus von mehr als 16 Prozent, der US-Aktienindex S&P 500 sogar mehr als 18 Prozent. Mit Blick auf die langfristige Gewinnrendite von Aktien entspräche das schon einem durchschnittlichen Ertrag von mehr als zwei Jahren. Und auch mit gemischten Mandaten konnte man nicht viel falsch machen: Anleihen und Gold notierten ebenfalls besser.
Die Stimmung der Anleger hat sich im Vergleich zum enttäuschenden Jahresende 2018 deutlich verbessert. Das spiegelt zumindest unser FvS Investor Sentiment Index, der die Marktmeinung von mehr als 1.500 Geldanlageprofis auswertet. Die Aktienquote von mehr als 60 Prozent nähert sich schon den „euphorischen“ Einschätzungen aus dem Sommer und Herbst 2017 (vgl. Grafik 1).
War‘s das schon für dieses Jahr? Oder müssen wir nach dem guten Start bald wieder mit veritablen Kursverlusten rechnen? Bei solchen Fragen verweisen wir gerne auf einen Chart des S&P 500, der die Börsenentwicklung der vergangenen Jahre mit dem Boom in den neunziger Jahren vergleicht (vgl. Grafik 2). Wir nennen diese Grafik auch unseren „Hallo-Wach-Chart“. Natürlich können historische Kursentwicklungen kein Indikator für die Zukunft sein. Dieser Chart erinnert uns aber daran, dass Anleger, die zu früh auszusteigen, den besten Teil einer Rally verpassen können. Denn es ist längst nicht in Stein gemeißelt, dass schon in Kürze die nächste große Börsenbewegung nach unten erfolgen muss.
Leider scheinen viele Börsenbeobachter den „Hallo-Wach-Chart“ nicht zu kennen. In vielen Presseberichten ist häufig nur von den Risiken die Rede. Ein Beispiel dafür ist der Brexit. Für viele Menschen, Unternehmer und auch Politiker bedeutet der mögliche Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union natürlich eine wichtige Zäsur. Für global investierende und langfristig denkende Anleger ist der Brexit hingegen ein Non Event. Wie sonst ließe sich erklären, dass der Dax in den sechs Monaten nach dem Brexit-Votum um gut 30 Prozent zulegen konnte – obwohl der Ausgang der Abstimmung nicht vorhersehbar war. Oder die Kursgewinne an den Börsen nach den Chaoswochen im britischen Parlament, die in der Verschiebung des Brexit ohne Lösung mündeten. Auch auf der Währungsseite scheinen die Risiken schon längst eingepreist.
Die (geringe) Relevanz des Brexit zeigt sich im Vergleich der Ökonomien. Großbritanniens Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt bei rund 2.800 Milliarden US-Dollar. Das entspricht fast der Summe, um die das BIP von China seit dem Ausgang des Brexit-Referendum gestiegen ist. Oder anders formuliert: Wären die britischen Inseln 2016 plötzlich von der Landkarte verschwunden, hätte China dies innerhalb von gut drei Jahren wirtschaftlich wieder kompensiert. Diese Betrachtung mag zwar den Stolz der Briten kränken, zeigt aber die Relevanz des Brexit aus Sicht eines globalen Ökonomen.
Die britischen Inseln existieren aber weiterhin. Und das Management vieler betroffener Unternehmen hatte nun fast drei Jahre Zeit, sich auf den Brexit einzustellen. Wer würde schon in ein Unternehmen investieren wollen, in dem die Führungskräfte in so einer langen Zeit keine Vorkehrungen getroffen haben? Oder das so einseitig aufgestellt ist, dass mögliche Zölle und rechtliche Änderungen in einem Land das Geschäftsmodell in Frage stellen? Wir – so können wir Ihnen versichern – würden das jedenfalls nicht tun.
Mit Blick auf die Masse an Research und Hirnschmalz, die dem Brexit gewidmet wurde, stellt sich schon mal die Sinnfrage. Tausende Anlagekomitees haben in zigtausenden Sitzungen und Analysen Millionen kostbarer Arbeitsstunden verzehrt, ohne fruchtbare Ergebnisse liefern zu können. Nachdem immer noch keine Lösung in Sicht ist, bleibt für Anleger vor allem eine Erkenntnis: Die knappe Ressource Zeit sollte in Zukunft sinnvoller eingesetzt werden.
Der Brexit ist aber nicht das einzige Thema, was Anleger zuletzt verunsicherte. In den vergangenen Wochen war (allzu) häufig von der inversen Zinsstrukturkurve die Rede. Die Tatsache, dass die Renditen von US-Staatsanleihen mit kurzen Laufzeiten etwas höher waren als die von den langen Laufzeiten soll – so liest man immer wieder – ein sicherer Indikator dafür sein, dass uns eine Rezession bevorstehe. In zwölf Monaten könnte es dann soweit sein.
Was gerne übersehen wird: Zwar ging jeder Rezession eine inverse Zinskurve voraus – aber nicht jeder inversen Zinsstrukturkurve folgte zwingend eine Rezession (vgl. Grafik 3). Die Zinsstrukturkurve ist das Ergebnis der Preise am Anleihemarkt und spiegelt somit die Erwartungen der Investoren wider. Nicht mehr und nicht weniger. Ob es tatsächlich so kommt, ist längst keine ausgemachte Sache.
Im Vergleich zu früheren Rezessionen hat sich ein sehr wichtiger Punkt geändert. Damals gab es noch freie Zinsmärkte. Heute halten die Notenbanken die Zinsen unten. Die langen US-Zinsen werden längst nicht mehr nur in Washington, sondern auch in Frankfurt oder Tokio gemacht. Die Europäischen Zentralbank und die Bank von Japan halten ihre Sätze bei null (und sogar darunter). Sollten die Zinsen in den USA stark steigen, schichten die globalen Anleiheinvestoren ihre Portfolios um. Die Nachfrage nach höher verzinsten US-Staatsanleihen (vor allem nach Anleihen längerer Laufzeit) würde für steigende Kurse sorgen – und die Zinsen fallen lassen.
Allzu große Renditeunterschiede zwischen deutschen, japanischen und US-Staatsanleihen, etwa in einem Bereich von vier oder fünf Prozent, halten wir deshalb für ausgeschlossen. Zumindest wenn es nicht zu drastischen Währungsverwerfungen kommen soll. Die Aussagekraft einer so manipulierten Zinsstrukturkurve ist begrenzt. Sie ist weder ein brauchbarer Indikator – noch ein Autopilot zu einer ausgewachsenen Rezession.
Und selbst wenn eine Rezession kommen würde, bedeutet das noch keinen Börsencrash. Nach der Definition reichen schon minimal negative Wachstumsraten in zwei aufeinander folgenden Quartalen. Eine solche Rezession spürt man nicht, sondern man liest von ihr in der Zeitung, wenn sie schon wieder vorüber ist.
Schwere Rezessionen, wie zuletzt in Folge der internationalen Finanzkrise, sind von einem anderen Kaliber. Für einen derartigen Einbruch gibt es unseres Erachtens aber keine Anzeichen. Ohne uns in den Reigen der Konjunkturprognostiker einreihen zu wollen, bleiben wir unserem Weltbild treu. Das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern dürfte nur noch moderat wachsen und die Zinsen bleiben niedrig. Und wenn es tatsächlich zu einer Rezession käme, könnte sie bei Aktien vielleicht gute Einstiegschancen bieten.
Brexit und Zinskurve – diese beiden Beispiele erinnern Anleger an die Grundlagen des Investierens. Für den langfristigen Anlageerfolg sind zwei Fähigkeiten entscheidend. Erstens: Wichtige von weniger wichtigen Entwicklungen zu trennen. Zweitens: Ungefähr abschätzen zu können, wieviel davon am Markt schon eingepreist ist. Die richtigen Prioritäten setzen, dass fällt in einem aufgeheizten Medienumfeld nicht immer leicht. Eine langfristige Anlagestrategie darf sich aber nicht an geräuschvollen, kaum abschätzbaren und wenig nachhaltigen Entwicklungen ausrichten – sondern das Wesentliche in den Vordergrund stellen.