01.10.2021 -
Die Staatsschulden laufen aus dem Ruder. Kein Problem, denn die Notenbanken springen ein und kaufen Anleihen. Das bleibt langfristig nicht ohne Folgen.
Als am 30. September 2021 das US-Fiskaljahr endete, wurde dem diesjährigen Haushaltsdefizit nur wenig mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Schlagzeilen machten andere Themen. Dabei ging es um Geldsummen, die die Vorstellungkraft vieler Menschen übersteigen dürften.
Nach dem höchsten Minus von 3.132 Milliarden US-Dollar im vergangenen Fiskaljahr 2019/2020 konnte die US-Regierung ihr Defizit auf etwa drei Billionen US-Dollar zwar leicht reduzieren. Das Haushaltsdefizit der grössten Volkswirtschaft der Welt entspricht aber noch immer mehr als zehn Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts – eine Marke, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur in den zurückliegenden zwei Fiskaljahren übertroffen wurde.
Der Gewöhnungseffekt an die neuen Grössenordnungen hat sich nicht nur in der Medienwelt schnell vollzogen. Sorgen um die Tragfähigkeit der gigantischen Staatsschulden und -defizite blieben bislang auch am Kapitalmarkt eher eine Randerscheinung. Der Grund für die Unbeschwertheit von Bevölkerung und Investoren lässt sich dabei in zwei Worten zusammenfassen: ultraexpansive Geldpolitik.
Vereinfacht gesagt haben die Notenbanken die pandemiebedingten Staatsdefizite entscheidend mitfinanziert. Allein die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hat seit Pandemiebeginn US-Staatsanleihen im Gegenwert von rund drei Billionen US-Dollar erworben. Die Wertpapierkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) belaufen sich seit März 2020 auf gut 1,8 Billionen Euro und flossen vorwiegend in Staatsanleihen. Das Defizit der 19 Eurostaaten aus dem Kalenderjahr 2020, das „gerade einmal“ 820 Milliarden Euro erreichte, ist hiermit gedeckt.
Und nicht nur in den USA und der Eurozone genoss die ausgabenfreudige Fiskalpolitik in der Corona-Pandemie die volle Rückendeckung ihrer Notenbanken. Die Notenbanken sind vielerorts zum grössten Gläubiger ihrer Staaten herangewachsen. Der Vorreiter dieser Entwicklung ist die Bank von Japan (BoJ), die bereits vor der Pandemie massiv Staatsanleihen erwarb und zum Ende des abgeschlossenen Fiskaljahres 2020/2021 knapp 45 Prozent aller japanischen Staatsanleihen hielt (siehe Grafik).
Hiervon ist man im Rest der Welt noch ein Stück entfernt. Aber auch die Fed hält mittlerweile rund 24 Prozent der ausstehenden US-Bundesschulden. Auf einem ähnlichen Niveau bewegt man sich in der Eurozone. Die Banca d’ Italia hatte per Ende August 2021 etwa 23,4 Prozent der italienischen Staatsschulden auf ihre Bücher genommen. Die Deutsche Bundesbank sowie die spanische Banco de España besitzen ebenfalls mehr als 20 Prozent der heimischen Staatsschulden.
Im Ergebnis hat die Verzahnung von Fiskal- und Geldpolitik spürbar zugenommen. Die Abhängigkeit der Staaten vom billigen Geld der Notenbanken ist ungleich höher als noch vor einigen Jahren. Damit ist aus Sicht der Notenbanken aber auch das Risiko gestiegen, dass eine mögliche geldpolitische Straffung unerwünschte Nebenwirkungen hinsichtlich der Solidität der Staatsfinanzen hervorrufen könnte. Der Handlungsspielraum der Notenbanken hat sich also eingeschränkt. Offensichtlich ist die Geldpolitik zunehmend fiskaldominiert. Längst nicht mehr unabhängig, sondern getrieben von den Plänen der jeweiligen Finanzminister.