09.03.2017 -
Geht es um Schwellenländer, wird gerne pauschalisiert: Was für China gilt, muss auch für Indien richtig sein – für Russland und Brasilien ohnehin. Falsch. Emerging Markets sind eine sehr heterogene Gruppe. Investoren sollten das berücksichtigen.
In den vergangenen Jahren haben sich viele Anleger von Marketing-Akronymen leiten lassen – dem Kürzel BRIC etwa, der Abkürzung für Brasilien, Russland, Indien und China. Oder der Next-11, einem Werbebegriff für eine Gruppe schnell wachsender Volkswirtschaften, darunter Mexiko oder Indonesien.
Griffig klingen diese Namen – deshalb lassen sie sich gut vermarkten. Langfristig ist es unseres Erachtens jedoch wenig sinnvoll, eine Anlagestrategie an derlei Begriffen, Produkten und Indizes auszurichten. Sie gaukeln Gemeinsamkeiten der jeweiligen Lände vor, die es in Wahrheit gar nicht gibt.
Ein fallender Ölpreis etwa wirkt sich nicht automatisch negativ auf alle Länder aus. Indien und die Türkei profitieren als Nettoölimporteure sogar davon, während Russland und Nigeria darunter leiden. Südkorea und Taiwan wiederum sind stark auf den Export fokussiert und damit überproportional vom Welthandel abhängig; Indien und die Philippinen dagegen sind relativ geschlossene Volkswirtschaften und werden damit weniger von der globalen Wirtschaftsaktivität beeinflusst. Russland und Brasilien sind stark von den Rohstoffpreisen und damit der Entwicklung Chinas abhängig.
Es lohnt sich also, jedes einzelne Land, also jeden einzelnen Markt separat zu betrachten. Die strukturellen Einflussfaktoren sind dabei der Schlüssel, um die langfristigen Perspektiven eines Landes einschätzen zu können. Investoren sollten sehr genau hinschauen und sich ein eigenes Bild machen – vor Ort. Bei Flossbach von Storch legen wir darauf sehr grossen Wert. Regelmässig besuchen wir Unternehmen und Konferenzen weltweit.
Neben der Einhaltung der Rechtsstaatsprinzipien, insbesondere des Schutzes individueller Freiheits- und Eigentumsrechte, ist der Schutz des Eigentums in allen Schellenländern (Emerging Markets) von grundlegender Bedeutung. Investoren reagieren sehr sensibel, sollte der nicht gewährleistet sein. Sie bevorzugen zudem stabile politische Verhältnisse – Korruption, Vetternwirtschaft und politische Unsicherheit bedrohen die Wachstumsperspektiven eines Landes.
Die Regierung sollte deshalb für Transparenz, Kontinuität und Verlässlichkeit sorgen. Die Justiz sollte unabhängig, die Presse frei sein. Der Wille, politisch verantwortungsvoll zu handeln, sollte erkennbar und eine nachvollziehbare Erfolgsbilanz vorhanden sein.
Der politische und rechtliche Rahmen hat logischerweise Auswirkungen auf die Unternehmen aus Emerging Markets. Denn der Staat übt seinen Einfluss nicht allein auf makroökonomischer Ebene aus, sondern auch auf Ebene der Unternehmen. Staatlich kontrollierte Konzerne, sogenannte „state owned enterprises“ (SOE), zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie weniger produktiv sind als privatwirtschaftliche Unternehmen. Sie sind oftmals weniger transparent, höher verschuldet und anfälliger für Korruption. Ausserdem werden bei SOE die Interessen der Minderheitsaktionäre zumeist nicht ausreichend berücksichtigt; stattdessen verhalten sich die staatlichen Vertreter oftmals, als seien sie in einem Selbstbedienungsladen.
In Emerging Markets finden sich SOE traditionell in den Sektoren Telekommunikation, Energie, Versorger und Finanzdienstleistungen; die Aktienkurse entwickeln sich häufig schwächer als die der privatwirtschaftlichen Unternehmen.
Wichtige Emerging Markets mit besonders hohem SOE-Anteil sind China oder Russland. SOE werden meist bevorzugt behandelt (vergünstige Kredite, Steuervorteile etc.), was zu Markt- und Wettbewerbsverzerrungen führt und die gesamte Volkswirtschaft belastet.
Hohes Wirtschaftswachstum bedeutet nicht automatisch, dass die Unternehmensgewinne kräftig zulegen und die Aktienkurse steigen – insbesondere dann nicht, wenn der Staat Mehrheitsaktionär ist und die Unternehmen benutzt, um übergeordnete politische Ziele zu erreichen.
Aus Sicht einer Volkswirtschaft bedeutet das: Industrien, die von staatsnahen Unternehmen dominiert werden, und Sektoren, in denen monopol- oder oligopolartige Strukturen vorliegen, sollten für mehr Wettbewerb geöffnet werden.
Ein sukzessiver Rückzug des Staates in Form von Privatisierungen wäre aus Aktionärssicht zu begrüssen. Prinzipiell lässt sich festhalten, dass das Risiko von Staatseingriffen in staatlich kontrollierten Unternehmen höher ausfällt als in privatwirtschaftlichen Unternehmen.
Unseres Erachtens ist es bei Aktienengagements in Emerging Markets besonders wichtig, dass die Unternehmen eine gute Corporate Governance aufweisen – gemeint ist ein vernünftiger Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen. Ein Grossteil der Mitglieder in den Kontrollgremien sollte unabhängig sein, die Interessen der Minderheitsaktionäre sollten berücksichtigt und Transaktionen mit verbundenen Parteien offengelegt werden.
Das Gleiche gilt für Informationen zur Vergütungs- und Anreizstruktur des Managements. Das Management sollte den langfristigen Unternehmenserfolg über die eigenen Interessen stellen. Wichtig sind zudem eine transparente Informationspolitik und die regelmässige Kommunikation mit den Kapitalmarktteilnehmern.
Um ein Unternehmen bewerten zu können, helfen neben dem Blick auf Eigentümerstruktur und Corporate Governance auch länder- und regionenübergreifende Unternehmensvergleiche. Schwellenländer haben in den vergangenen Dekaden viele Unternehmen hervorgebracht, die sich heute mit global agierenden Konzernen messen können. Einfallsreiche Geschäftsmodelle und das Wissen um die Besonderheiten der
lokalen Märkte zeichnen sie aus. Nicht selten haben die „lokalen Champions“ es geschafft, ihre Umsätze weit über die Landesgrenzen auszuweiten.
Umgekehrt sind Unternehmen aus der westlichen Welt immer stärker in den Schwellenländern vertreten. Nicht selten ist der Anteil ihres Umsatzes in den Wachstumsregionen grösser als in den Heimatmärkten. Entsprechend stehen Schwellenländer-Unternehmen und westliche Unternehmen in zunehmendem Wettbewerb zueinander. Die Grenzen zwischen Emerging Markets und der entwickelten Welt verschwimmen. Der klassische Emerging-Markets-Anleger tut unseres Erachtens deshalb gut daran, auch Unternehmen aus der entwickelten Welt, die sogenannten Emerging-Markets-Profiteure, in seine Strategie einzubeziehen.
Schlussendlich sollte der Fokus auf echten Qualitätstiteln liegen. Dabei ist ein unternehmerisch denkendes und handelndes Management mit klarer Ertragsorientierung von überragender Bedeutung. Corporate-Governance-Probleme dagegen bergen hohe Risiken. Ein solcher Qualitätsansatz lässt sich nicht über indexnahe Investments abbilden. Ein Grossteil der EM-Indizes wird von staatsnahen Unternehmen dominiert.