20.12.2018 -
2018 jährte sich die Finanz- und Schuldenkrise zum zehnten Mal. Bert Flossbach spricht über die Risiken der Notenbankpolitik seither und die möglichen langfristigen Folgen für die Eurozone.
Herr Flossbach, gut zehn Jahre ist es her, dass Lehman Brothers pleiteging – was lässt sich heute daraus ableiten?
Flossbach: Die Lehman-Pleite war ein Lehrbeispiel für fehlende Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit, das neue Lieblingswort der Finanzindustrie…
Nachhaltigkeit ist ein Wiesel-Wort, eine Worthülse, das wissen wir. Es muss deshalb mit Bedeutung gefüllt werden. Für uns bedeutet nachhaltig so viel wie dauerhaft, beständig, stabil, zukunftsfähig und langfristig. Als aktiver, langfristig denkender Investor ist Nachhaltigkeit ein Wesensmerkmal unserer Investmentphilosophie – und eben keine plumpe Marketing-Strategie.
Und was haben Lehman und die Finanzkrise denn mit Nachhaltigkeit zu tun?
Weder die vergebenen Hypothekendarlehen waren nachhaltig noch die Ratings, mit denen die vielen neu geschaffenen Anlageprodukte versehen wurden. Die Geschäftspolitik der Banken war es auch nicht. Warum war sie das nicht? Weil es den Banken – besser: ihren Managern – zuallererst um den schnellen Gewinn ging. Das hat ihnen den Blick auf die Risiken, sowohl für die eigene Bilanz als auch die Kunden, verstellt. Im Übrigen ist auch die folgende Bankenrettung nicht nachhaltig gewesen.
Aber die Banken stehen heute deutlich stabiler da als vor einigen Jahren...
Tun sie das? Ich würde dem widersprechen. Zumindest wenn wir über die europäischen Institute reden. Viele von ihnen leiden heute noch massiv unter den Folgen der Krise! Die Niedrigzinspolitik gefährdet ihr Geschäftsmodell. Ohne Zins keine Zinsmarge, keine Zinserträge.
War die Politik des billigen Geldes in der Rückschau die richtige Therapie für die Folgen der Finanzkrise?
Die Tiefzinspolitik war zweifellos die richtige Therapie, um 2008 das Finanzsystem zu stabilisieren und die Wirtschaft möglichst schnell wieder in Schwung zu bringen. Die Notenbanken haben den Politikern damit Zeit gekauft, um notwendige Strukturreformen auf den Weg zu bringen – heute müssen wir konstatieren: Diese Zeit wurde nicht oder zumindest nicht ausreichend genutzt. Heute zeigen sich vor allem die Nebenwirkungen der Politik des billigen Geldes.
Worauf spielen Sie an?
Die Nullzinspolitik hat zu einer schleichenden Zombifizierung der Wirtschaft und einer gefährlichen Abhängigkeit von den sehr niedrigen Zinsen geführt.
Was genau verstehen Sie unter Zombifizierung?
Der Nullzins hält Unternehmen am Leben, die eigentlich längst pleite wären. Und er erhöht die Bereitschaft der Banken, bestehende Kredite zu verlängern, weil es aus ihrer Sicht keine attraktiveren Alternativen dazu gibt. Hinzu kommt, dass eine Kündigung der Kredite zu Abschreibungen führen würde – angesichts der angespannten Ertragslage werden die Banken das tunlichst vermeiden. Also wird ein Kredit im Zweifel lieber verlängert und so das Ende eines wenig erfolgreichen Unternehmens immer weiter hinausgezögert.
Aber wo genau ist das Problem?
Zombies saugen Kapital ab, das dann an anderer Stelle, etwa zur Finanzierung zukunftsfähigerer Unternehmen und Ideen, fehlt. Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum sinken langfristig. In Japan lässt sich genau das seit langem beobachten. Nun breitet sich das Virus auch in Europa aus.
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