12.10.2018 -
Trotz des schnellsten Preisanstiegs in Deutschland seit 2011 bleiben steigende Zinsen in der Eurozone unwahrscheinlich. Die Gründe dafür liegen in Italien.
In Deutschland sind die Preise im September so schnell gestiegen wie zuletzt im Jahr 2011. Um 2,3 Prozent ist der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Korb aus Konsumgütern im Vergleich zum Vorjahr teurer geworden. Grösster Treiber war der Ölpreis, der die Energiekosten der privaten Haushalte um 7,7 Prozent ansteigen liess. Auch Nahrungsmittel, die knapp zehn Prozent des Warenkorbs ausmachen, verteuerten sich um 2,8 Prozent.
Seit Mai liegt der Anstieg der Verbraucherpreise in Deutschland bei mindestens zwei Prozent und damit über der von der Europäischen Zentralbank (EZB) angestrebten Preissteigerung von „unter, aber nahe zwei Prozent“. Auch die Löhne steigen in Deutschland allmählich etwas stärker, was letztlich für einen binnenwirtschaftlichen Anstieg der Inflationsraten sorgen könnte. Damit könnte die EZB doch eigentlich auch langsam die Zinsen wieder anheben?
Doch so einfach ist das nicht. Denn laut ihrem Auftrag muss sich die EZB um den ganzen Währungsraum kümmern. Zwar liegt auch in der Eurozone die Inflationsrate bei rund zwei Prozent. Wenn man aber die Energiepreise nicht berücksichtigt, kann die EZB auf eine Kennzahl – die sogenannte Kerninflation – verweisen, die zuletzt um ein Prozent schwankte und die ihr somit weiterhin eine lockere Geldpolitik ermöglicht.
Für den Beobachter der europäischen Geldpolitik ist die Interpretation der geldpolitischen Massnahmen richtig kompliziert geworden: Mandat, Kommunikation und Massnahmen der EZB sind mittlerweile deutlich auseinandergedriftet. Dabei ist das geldpolitische Mandat eigentlich simpel und lautet: Gewährleistung von Preisstabilität. Während die Inflation nicht gestiegen ist, hat die EZB den Politikern in der Eurozone mit Nullzinsen und weiteren unkonventionellen geldpolitischen Massnahmen Zeit für Strukturreformen gekauft. Diese Zeit wurde aber nicht genutzt. Damit sah es dann EZB-Präsident Mario Draghi als seine Aufgabe an, mit einem uneingeschränkten Beistandspakt – „Whatever it takes“ – die Gemeinschaftswährung zusammenzuhalten.
Würde derzeit nicht das politische Drama in Italien aufgeführt, könnte man sich bei der EZB über die gestiegene Inflation freuen: Mit den Einschränkungen, die durch den Kapitalschlüssel auferlegt sind, könnte das aktuelle Anleihekaufprogramm nicht mehr lange fortgesetzt werden; das angekündigte Auslaufen im Dezember war also fast unvermeidlich.
Der Anstieg der italienischen Staatsanleiherenditen wirft deshalb ein schonungsloses Licht auf das Dilemma der europäischen Geldpolitik: Fokussiert sich die EZB auf eine baldige Normalisierung der Geldpolitik, belastet das langfristig die Schuldentragfähigkeit des italienischen Staates – und damit am Ende den Zusammenhalt der Eurozone. Das damit vorhandene Erpressungspotential scheint den Akteuren auf italienischer Seite wohl durchaus bewusst zu sein.
Für Draghi und seinen Nachfolger ist die Inflation damit ein zweischneidiges Schwert: Ein gewisses Mass an Inflation ist notwendig, damit private und öffentliche Schuldner kein Problem damit haben, ihre Schulden zu bedienen. Hierfür braucht es vor allem negative Realzinsen, das heisst, eine Inflation, die oberhalb der Nominalzinsen liegt. Steigt die Inflation aber zu weit, während die EZB untätig bleibt – um zum Beispiel die Refinanzierung kriselnder Staaten wie Italien nicht zu gefährden – wird sie zur Bedrohung. Der EZB droht dann der Verlust ihrer Glaubwürdigkeit.
Deshalb ist es unseres Erachtens naiv, mit Blick auf die Inflationsraten auf eine baldige „Normalisierung“ der europäischen Geldpolitik zu hoffen. Der Beistandspakt für alle schwächelnden Länder der Eurozone müsste aufgegeben werden – mit weitreichenden Folgen.