22.11.2016 - Philipp Vorndran

Wer spart, ver­liert


Wer spart, ver­liert

Negative Zinsen sind ein Ausdruck von Verrücktheit. Heute versuchen Unternehmen, ihre Steuern so schnell wie möglich beim Finanzamt abzuliefern, weil zu viel Geld auf dem Konto bedeutet, mit Strafzinsen belastet zu werden. Verrückt ist auch, dass der Staat – und mittlerweile auch verschiedene Großkonzerne – Geld für das Schuldenmachen bekommen.

Für viele Menschen scheint dieser Zustand mittlerweile völlig normal! In einer Sonntagszeitung war kürzlich zu lesen, dass die Auffassung, nach der ein negativer Zins Ausdruck von Verrücktheit ist, inzwischen weitgehend überwunden sei. Tatsächlich sind negative Zinsen ein Novum in der Geschichte. Seit es schriftliche Überlieferungen gibt – also rund 5.000 Jahren – war der Zins niemals negativ.

Das Argument, die hohe Verschuldung in den entwickelten Ländern bremse das Wirtschaftswachstum, erklärt zwar ein niedriges Zinsniveau, nicht aber ein negatives. Gewöhnlich treiben hohe Schulden den Zins sogar in die Höhe – weil die Kreditwürdigkeit des Schuldners leidet. Nicht aber in der Welt der Notenbanken. Und da wären wir beim wahren Grund für die Minuszinsen, der Geldpolitik. Eine Politik, von der die Zentralbanker glauben, sie könne auf Knopfdruck Inflation erzeugen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Heute sind die Notenbanker mächtiger als viele Regierungschefs. Es scheint, sie verstehen sich nicht mehr nur als Hüter der Geldwertstabilität, sondern zunehmend als zentrales Steuerungsorgan für Wirtschaft (Wohlstand) und Finanzmärkte (Stabilität). Ihr Aufgabenfeld ist immer größer geworden. Sie haben es selbst erweitert. Niemals waren die Finanzmärkte derart abhängig von den Notenbanken, was wiederum deren Handlungsspiel drastisch einschränkt. Die Zentralbanken können praktisch nur noch das tun, was die Finanzmärkte von ihnen erwarten, ansonsten droht ein Kollaps. Ein Teufelskreis.

Dennoch lassen die Notenbanker keine Zweifel am Erfolg und der Richtigkeit ihres Tuns. „Unsere Maßnahmen sind effektiv, sie tragen zur Erholung der Wirtschaft sowie zur Verbesserung des Arbeitsmarkts bei“, sagte Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), kürzlich vor dem Deutschen Bundestag. Tatsächlich ist die EZB Gefangene ihrer eigenen Politik. Genauso die US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Die hat zwar im vergangenen Dezember eine kleine Zinserhöhung gewagt. Die angekündigte Zinswende ist jedoch ausgeblieben. Mehr als alle anderen Notenbanken muss die Fed die globalen Konsequenzen ihrer Politik bedenken. Darunter leidet ihre Glaubwürdigkeit. Die Zinsprognosen der Mitglieder des Fed-Offenmarktausschusses („Dot Plots“) sind der Beleg. Seit Jahren liegen sie meilenweit daneben.

Die Bank of Japan (BoJ) wiederum legt Planziele fest, die den früheren Sowjet-Planern zur Ehre gereicht hätten. Die Bank of England (BoE) muss möglichen Konsequenzen eines Brexits vorbeugen und die EZB nebenbei auch noch den Euro retten. Einen Erfolg dürfen sich die Notenbanken aber zuschreiben: Mit ihren gigantischen Hilfen lindern sie die Finanznot der hochverschuldeten Staaten. Fallende Zinsausgaben eröffnen neue finanzielle Möglichkeiten und mindern den Druck, schmerzhafte Strukturreformen umsetzen zu müssen. Und das ist noch nicht alles. Ein Schelm ist, wer in den massiven Anleihekäufen auch eine innovative Form der Staatsentschuldung sieht.

Wenn die BoJ so weitermacht, kann sich der japanische Staat praktisch selbst entschulden.

Japan erweist sich auch hier als Vorreiter. Die BoJ besitzt heute bereits 39 Prozent der Zentralstaatsanleihen und damit 32 Prozent der gesamten Staatsverschuldung (vgl. Grafik 3 und Grafik 4). Berücksichtigt man diesen „Eigenbestand“, beträgt Japans Staatsschuldenquote „nur“ noch 171 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und damit deutlich weniger als die offiziell ausgewiesenen 250 Prozent. Ende 2017 wird die Staatsschuldenquote dann voraussichtlich nur noch 158 Prozent betragen. Wenn die BoJ so weitermacht, kann sich der japanische Staat praktisch selbst entschulden.

Diese Form der „Schuldentilgung“ könnte auch von Baron Münchhausen oder Charles Ponzi erdacht worden sein.

Die BoJ baut aber nicht nur den Schuldenberg Japans ab, sondern ist auch zum Staatsfinanzier der letzten Instanz geworden. So kann z.B. ein großes Magnetschwebebahnprojekt von Tokio nach Osaka umgesetzt werden, weil die Finanzierung praktisch nichts mehr kostet. Das könnte man auch als Helikoptergeld bezeichnen, obwohl es in diesem Fall der Bahn zugutekommt.

An dieser Stelle hätten wir noch vor wenigen Jahren den Einwand erhoben, dass eine derart offensichtliche Form von Staatsfinanzierung und Entschuldung zu einem massiven Vertrauensverlust der Menschen in die Währung führen würde. Dem ist aber nicht so – im Gegenteil. Der japanische Yen hat in diesem Jahr im Vergleich zu allen anderen bedeutenden Weltwährungen deutlich an Wert gewonnen.

Offensichtlich gibt es einen Gewöhnungseffekt. So wie negative Zinsen zunehmend als normal bezeichnet werden, scheint es auch niemanden mehr zu stören, dass die Notenbanken den Staaten die Schulden abkaufen.

Bemerkenswert ist allerdings, dass ausgerechnet eine Notenbank erkannt hat, dass es Zeit wird, sich auf die langfristigen Folgen der Gelddruckerei vorzubereiten. Bezeichnenderweise handelt es sich dabei um eine Notenbank, die – relativ zu ihrer Größe – bislang am meisten Geld gedruckt hat: die Schweizerische Nationalbank (SNB). Um am Tag der Wahrheit nicht nur Staatsanleihen im Depot zu haben, die der Inflation schutzlos ausgeliefert sind, kauft die SNB Aktien.

Sollte der Euro einmal auseinanderbrechen, säße Deutschland auf einem Berg fauler Forderungen.

Um zu vermeiden, dass der Schweizer Franken weiter aufwertet, hatte sie in den vergangenen Jahren riesige Mengen an Euro und US-Dollar gekauft, damit vorzugsweise Staatsanleihen geordert. Die Bilanzsumme der SNB ist seit Ende 2010 von 270 auf heute 690 Mrd. CHF gestiegen.

Mittlerweile gilt die SNB als achtgrößter öffentlicher Investor in der Welt (nach den großen Staatsfonds). Bei vielen Großkonzernen zählt sie heute zu den bedeutendsten Anteilseignern. Im Gegensatz zu Staatsfonds kann eine Notenbank aber Geld drucken, also praktisch aus dem Nichts schöpfen. Sie benötigt dazu keine Steuereinnahmen – und auch kein Öl, das sie veräußert, um Aktien kaufen zu können. Ein Knopfdruck oder ein Telefonat genügen, und die SNB schreibt dem Verkäufer der Aktien den Betrag auf dessen Konto (bei der SNB) gut.

Das alles geschieht offiziell mit dem hehren Ziel, die Aufwertung des Franken zu begrenzen und die erworbenen Euro und US-Dollar sinnvoll anzulegen. Dass die Schweizer sich nicht darüber beschweren, ist allzu verständlich. Anteile an global führenden, produktiven Unternehmen sind langfristig unseres Erachtens eine wesentlich bessere Anlage als nahezu unverzinste Anleihen.

Wenn die SNB so weiter macht, könnte sie ein riesiges Portfolio an erstklassigen Unternehmensbeteiligungen zusammenstellen – und damit die Schweizer zu globalen Großaktionären machen. Die gewaltige Menge an Franken wäre dann zwar nicht durch Gold gedeckt, wohl aber durch rentierliche Sachwerte hoher Qualität. Die Schweizer Notenbanker würden ihr Tun gewiss als Selbstverteidigung bezeichnen. Schließlich war es die EZB, die mit ihrer aggressiven Geldpolitik den Frankenkurs in die Höhe getrieben hat. Andernorts dürfte das, was die SNB macht, auch als „Raub“ bezeichnet werden.

Es ist nicht auszuschließen, dass andere Notenbanken dem Beispiel der SNB folgen werden und ebenfalls Aktien kaufen.

Im Gegensatz zur SNB türmt die Deutsche Bundesbank in ihrer Bilanz (gezwungenermaßen) zweifelhafte Forderungen an die EZB und die Europeripherieländer auf. Sollte der Euro irgendwann auseinanderbrechen, säße Deutschland auf einem Berg fauler Forderungen, die Schweiz dagegen auf einem werthaltigen Aktienportfolio.

Es ist nicht auszuschließen, dass andere Notenbanken dem Beispiel der SNB folgen werden und ebenfalls Aktien kaufen. Ein Grund dafür ist das begrenze Angebot an Anleihen; viele Investoren müssen aus regulatorischen Gründen in Bonds (Anleihen) investieren und können sie nicht komplett an die Zentralbank verkaufen. In großem Stil Gold zu kaufen, wäre wiederum problematisch; der Preis des Edelmetalls dürfte rasch steigen, außerdem wäre das Signal besorgniserregend: „Notenbanken flüchten in Gold.“

Für Anleger ist die wechselseitige Abhängigkeit der Finanzmärkte und der Notenbankpolitik keine angenehme Situation. Wenn die Zinsen über alle Laufzeiten hinweg mehr oder weniger direkt von den Notenbanken festgelegt werden, wird die Bewertung von Vermögensanlagen zu einem sehr schwierigen Unterfangen. Angesichts des dauerhaft niedrigen Zinsniveaus sind Aktien unseres Erachtens mit Abstand die attraktivste Anlageform.

Dies gilt vor allem für Titel robuster Unternehmen, die zuverlässig Erträge erwirtschaften und einen Teil davon als Dividende ausschütten. Wenn selbst eine Zentralbank wie die SNB in größerem Umfang Qualitätsaktien kauft, sollten sich auch Anleger Gedanken machen, die bisher aus Angst vor Kursschwankungen einen großen Bogen um die Aktienmärkte gemacht haben.

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